Rav Uri Scherki
Götzendienst oder Der fremde Dienst
aus dem Hebräischen übersetzt von Adalbert Osterried
aus: Rabbi Oury Cherki, Chiddush Gadol (Große Neuerung). Einblicke in sein Denken, Jerusalem: Ourim 2018, Seite 51-54
Die Neigung zum Götzendienst
In den Vorzeiten war der Götzendienst die bedeutendste geistige Kraft, gegen die unsere Väter ankämpften. Im Laufe der Zeit endete der Kampf zwischen dem israelischen Monotheismus und dem Götzendienst mit einem fast vollständigen Sieg unseres Ein-Gott-Glaubens. Dieser Sieg war jedoch von vornherein nicht absehbar. Es gab Epochen, in denen der Monotheismus als Spinnerei, ja sogar als Verbrechen galt. Tacitus, der bekannte römische Geschichtsschreiber, schrieb, dass die Juden das verabscheuungswürdigste Volk der Welt seien, weil sie alles Heilige verachteten. Sie würden die Götter nicht ehren und so sehr die Heiligkeit missachten, dass sich sogar im innersten und heiligsten Raum ihres Tempels in Jerusalem überhaupt nichts befunden hätte. Tacitus behauptete, Moses hätte kultische Riten vorgeschrieben, „die den Riten der übrigen Menschheit widersprechen. Was uns heilig ist, ist ihnen alltäglich; was bei uns als unrein gilt, ist unter ihnen erlaubt.“ (Historien, Buch 5, Kap. 4) Tacitus lebte zwar erst in den Jahren nach der Zerstörung des zweiten Tempels, tat sich aber immer noch schwer mit der Vorstellung eines Tempels, der keinerlei götzendienerisches Beiwerk beinhaltet. Er setzte die jüdische Haltung mit Atheismus gleich. Heute sind Tacitus Vorwürfe fast bedeutungslos angesichts unseres Sieges im hartnäckigen Kampf gegen den Götzendienst. Da der Hang zum Götzendienst aber noch nicht ganz aus der Welt verschwunden ist, ist dieses Thema in gewisser Hinsicht immer noch aktuell.
Ist der Götzendienst eine rein negative Angelegenheit?
Das Vergehen der Götzendiener besteht darin, dass sie sich Barrieren gegen den Dienst Gottes schaffen, die den Menschen einschränken und unglücklich machen. Aber es gab in der Geschichte eine Entwicklungsstufe, in der diese Barrieren in ethischer Hinsicht erwünscht waren, weil sie größeres Unglück verhinderten (siehe Rabbi Avraham Kook, Midot, Abschn. Tochacha). Die Größe Abrahams kam bekanntlich darin zum Ausdruck, dass er den Mut aufbrachte, seiner Generation zu sagen, dass die Stunde gekommen sei, die Götzenbilder zu zerschmettern und auf eine höhere Stufe der Gotteserkenntnis voranzuschreiten (siehe R. A. Kook, Briefe, Brief Nr. 44, 1907).
Obwohl das Judentum den Götzendienst als verabscheuungswürdig und als Gräuel betrachtet, erkennt es in ihm auch eine positive Seite. In der Einleitung des Buches Kusari, des grundlegenden Werkes über die jüdische Religion, beschreibt Rabbi Jehuda Halevi einen götzendienerischen König, dem Nachts ein Engel erschien und ihm sagte: „Deine Gesinnung findet bei Gott Gefallen, nicht aber dein Handeln.“ Die Ernsthaftigkeit des Götzendieners findet hier deshalb Anerkennung, weil ihn eine innere Gewissheit auf dem Weg zum richtigen Handeln leitet. Dies unterscheidet ihn etwa von dem Philosophen, den er befragt.
Über die positive Seite der Welt der Götzen erfahren wir auch aus den Worten des Propheten Maleachi: „Denn von der Sonne Aufgang bis zu ihrem Untergang ist mein Name groß unter den Völkern, und allerorten wird meinem Namen geräuchert und dargebracht reine Opfergabe, denn groß ist mein Name unter den Völkern, spricht der Ewige der Scharen. Ihr aber schändet ihn.“ (Mal 1,11-12) Götzendiener werden hier als wahrhaftige Diener Gottes dargestellt, während die Kinder Israels als Gotteslästerer dastehen. Das ist ein Zustand von „Eine verkehrte Welt sah ich“ (Babylon. Talmud, Baba Batra 10b). Hinter dem Unrat des Götzendienstes zeigt sich eine ehrliche Regung eben auch bei den Völkern der Welt.
Fremde Götter des Landes Israel
Götzendienst (hebr. „fremder Dienst“), wie der Name so die Sache: Gottesdienst in fremder Form. Wenn die Torah vom Götzendienst spricht, meint sie die unterschiedlichen Auffassungen über das Göttliche bei den Völkern der Welt. Man kann sagen, dass die Diener des Baals, die Anbeter ägyptischer oder griechischer Götter in ihrem kollektiven seelischen Empfinden ein gewisses Aufblitzen von Wahrheit in ihren Handlungen empfanden. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Torah und die Propheten überhaupt nicht forderten, dass die Völker Gott anstelle ihrer Götter dienen sollten. Die einzige diesbezügliche Forderung bezog sich auf den Götzendienst, der im Lande Israel vollzogen wurde. Rabbi Bachja ben Ascher erklärt den Ausdruck „Fremdgötter des Landes“ (Dtn 31,16) dahingehend, dass diese Götter im Land Israel eben fremd sind.
An diesen wenigen Stellen zeigt sich die Torah ganz und gar nicht tolerant gegenüber dem Götzendienst im Lande Israel, denn im Palast des Königs hat man sich eben angemessen zu verhalten. Andererseits toleriert sie Götzendienst außerhalb des Landes Israel, denn letzten Endes hat der Götzendienst eine historische Legitimität in der übrigen Welt, da die Menschen ein äußeres Objekt zur Verehrung benötigten. Auch in der Gegenwart steckt hinter der Verehrung von Kinostars, Fußballhelden, Popmusik-Idolen und anderen Kultfiguren ein tief empfundener Wunsch des Menschen, sich mit etwas zu verbinden, das über ihn selbst hinausweist. Mit relativer Leichtigkeit lässt sich jedoch dieses Streben an den richtigen Ort lenken und der Mensch aktivieren, wenn man ihm sagt: „Was du suchst und dort zu finden meinst, findest du in Wahrheit bei demjenigen, dem die Lebenskräfte insgesamt gehorchen.“ Daher muss man den Götzendienst, wie er auch immer geartet sei, gar nicht mit Eifer zu brechen und zu vernichten suchen, sondern sollte erforschen und verstehen, was genau der Mensch sucht, um ihn dann gemäß seiner Neigungen auf den rechten Gottesdienst hin zu orientieren.
Religiöse Ekstase
Religiöse Ekstase birgt, wenn sie ihrer Grundlage in der Offenbarung (Gottes) entbehrt, für den Betroffenen schuldhaft eine Gefahr. Natürlich führt der Augenblick, wenn sich Gott offenbart, zur Erregung mächtiger Gefühle. Phantasien, Gefühle der Liebe, Erstaunen und andere Erregungszustände, die den Menschen als Auswirkung der Offenbarung ergreifen, tragen in sich einen positiven Wert. Die Wahrnehmung des Herrlichen und Schönen empfängt ihren wahren Wert aber gerade in dem Augenblick, in dem sie sich mit dem Ewigen verbindet. Weil es aber eine schwer zu überwindende Kluft zwischen beiden gibt, wird z.B. "Kunst um der Kunst willen" (L’art pour l’art) und "Schönheit um der Schönheit willen" akzeptiert. Die Folge davon ist jedoch, dass wir vor einer schönen, aber gleichzeitig auch hoffnungslosen Welt stehen, in der es keine Begegnung mit dem absolut Anderen gibt, eben mit dem, "der sprach und die Welt entstand", (wie man im Hebräischen den Schöpfergott auch nennt). Ein Ausdruck nach dem Muster "Wert um des Wertes willen" meint, dass man einen einzelnen Wert anderen vorzieht und verabsolutiert. Gerade dies aber begründet Götzendienst. In der Torah heißt es: "Wer den Göttern schlachtet, werde gebannt, außer dem Ewigen allein (levado)." (Ex 22,19) - "allein" leitet sich aus dem Hebräischen für "angeheftet" (lavud) ab, verbunden, vereinigt. Der Mensch, der einem einzelnen Wert vor anderen huldigt, vergeht sich damit praktisch an allen anderen Werten. Und was ist die erwünschte Vorgehensweise? "Außer dem Ewigen allein!" Der unaussprechliche Name Gottes ist auch der Name, der alle Werte verbindet, der dem Ganzen, dem Zusammenhang aller Werte Bedeutung verleiht. Daher stehen Bezeichnungen wie "Kunst um der Kunst willen" oder "Schönheit um der Schönheit willen" praktisch für die moderne Form der Sünde des Götzendienstes.