Rav Uri Scherki

Zum Gebet - Sproß Davids

Übersetzung: Rafael Plaut

Von der Webseite Kimizion.org



Der Segensspruch (Bracha) in der Schmone-Esre über den "Sproß Davids" beginnt mit den Worten: "Den Sprößling deines Knechtes Davids laß rasch emporsprießen, sein Horn erhöhe durch deine Hilfe". Im Begriff des Emporsprießens klingen Zeit und kontinuierliche Entwicklung an. Das Sprießen kann allerdings machmal schnell und manchmal langsam erfolgen. Wir beten um "rasches" Sprießen, es muß aber zwangsläufig kontinuierlich sein. Es gibt keine Alternative, die Erlösung wird nicht in Hast ablaufen, entsprechend dem Prophetenwort: "Ja, nicht mit Hast werdet ihr fortziehen, und nicht in Flucht davongehen" (Jeschajahu 52,12), im Gegensatz zur Erlösung aus Ägypten, die eine von Wundern begleitete Erlösung war - das Wunder nimmt keine Rücksicht auf den natürlichen Ablauf der Dinge und unterliegt nicht den Beschränkungen der Zeit. Die ultimative Erlösung soll gerade auch die Natur erlösen, und die Natur nimmt daran teil. Und weil die Natur an der Erlösung Israels und ihrer eigenen Erlösung teilnimmt, braucht das notwendigerweise eine gewisse Zeit, denn so verhält es sich eben mit der Natur.

Wir sind an der Erlösung interessiert, sie soll alles erlösen: Trockenlegung der Sümpfe, Erlösung der Wirtschaft durch Gründung von Banken, und die Erlösung der Nationen der Welt durch ihre Beteiligung an der politischen Entscheidung zur Gründung des Staates Israel. Gleichfalls sind wir daran interessiert, alle Bereiche der Kultur zu beteiligen, und alle Ideen, die seit Beginn der Menschheitsgeschichte entwickelt wurden...

Darum gibt es keine andere Wahl für die Erlösung als die kontinuierliche Entwicklung, denn sie muß auf die Gewöhnungsbedürftigkeit an neue Ideen von Teilen der Nation Rücksicht nehmen. Die Erlösung kann nicht von einem Moment auf den nächsten stattfinden.

Wir beten vielmehr, daß diese Erlösung schnell vonstatten gehe, selbst als kontinuierlicher Prozeß. Trotzdem werden von Zeit zu Zeit Sprünge erfolgen, wie es in jedem evolutionären Prozeß nach einer langen Entwicklungphase unter der Oberfläche geschieht. Auch bei der Erlösung gibt es ab und zu Sprünge. Diese Tatsache kann zu einem Streitpunkt selbst zwischen treuen Anhängern der Erlösung werden. Im Talmud (Sota 37a) wird erzählt: Als die Kinder Israels am Schilfmeer standen, wetteiferten der Stamm Benjamin mit dem Stamm Jehuda, wer als erster ins Meer hinabsteige. Am Ende sprang der Stamm Benjamin zuerst hinein, woraufhin sie die Fürsten Jehudas mit Steinen bewarfen, wie es heißt (Psalm 68,28): da ist Benjamin, der jüngste, sie beherrschend [rodem], und man lese nicht rodem [sie beherrschend], sondern rad jam [der ins Meer stieg]. Rabbiner Naftali Z.J. Berlin aus Woloschin erklärte zu diesem Wettstreit Folgendes: Die Söhne Jehudas sagten, weil G~tt die ganze Nacht einen starken Ostwind wehen ließ, ersehen wir daraus G~ttes Willen, in einem kontinuierlichen Prozeß Stück um Stück zu erlösen, und darum muß abgewartet werden, bis der Wind das Meer gänzlich ausgetrocknet hat, und erst dann ist es uns erlaubt, hindurch zu gehen. Die Söhne Benjamins sagten, wenn wir das tun, läßt sich das Wunder nicht erkennen, und darum muß man sofort ins Wasser springen, damit das Meer sich teilt. In Wirklichkeit geschahen nämlich beide Dinge: Das Meer trocknete langsam aus, und die Wogen teilten sich, wodurch das Wunder offensichtlich wurde - die Teilung des Schilfmeers. Weil dieser Ablauf aber der ideologischen Auffassung der Söhne Jehudas zuwiderlief, die glaubten, "Stück um Stück" sei eine absolute Zwangsläufigkeit, und jedes Überspringen von Stufen sei verboten, bewarfen sie die Söhne Benjamins mit Steinen.

Was können wir daraus lernen? Ganz offensichtlich läuft der Erlösungsprozeß langsam und kontinuierlich ab, wenn aber eine Möglichkeit zum Überspringen besteht, um ab und zu die Vorgänge zu beschleunigen, so ist sie zu nutzen; auf jeden Fall hast du kein Recht, selbst wenn du dich nicht an so einem "Sprung" beteiligen willst, deinen Nächsten mit Steinen zu bewerfen. Denn die Hauptsache bei der Erlösung ist die Einigkeit der Nation und die gegenseitige Rücksichtnahme innerhalb des Gesamtspektrums der Ansichten. Auf diese Weise wird sich auch erfüllen: "sein Horn erhöhe durch deine Hilfe" (s. o.) - die Erhöhung des Horns Israels wird offenbar werden bis an die Enden der Welt [das Horn als Gefäß für das Öl, mit dem der Maschiach gesalbt wird, und als Symbol für die Macht Israels wie die Macht des Stieres].