Rav Uri Scherki

Zum Gebet - Die Rückkehr nach Jerusalem

Übersetzung: Rafael Plaut

Von der Webseite Kimizion.org



Der Wortlaut des Segensspruches (Bracha) über den Aufbau Jerusalems unterscheidet sich bei den verschiedenen ethnischen Gruppen des Judentums. Im Gebetstext der Aschkenasim gibt es einen Zusatz: "Nach deiner Stadt Jerusalem kehre in Erbarmen zurück". An wen ist diese Bitte gerichtet? Eine vielleicht etwas seltsame Frage, die aber verständlich wird, wenn wir sie im Lichte der Worte von Professor André Neher sel. [1914 - 1988] betrachten: "In meiner Jugend, als halbwegs an die westliche Kultur assimilierter Jude, sagte ich im Gebet zu G~tt 'nach Jerusalem deiner Stadt', Jerusalem ist deine Stadt, Nach deiner Stadt Jerusalem kehre in Erbarmen zurück, und ich bleibe in der Diaspora. Als ich etwas aufgewachsen war und mich inzwischen der zionistischen Idee angeschlossen hatte, verstand ich unter 'nach Jerusalem deiner Stadt' eine Aufforderung an die Juden Osteuropas, die dringend Freiheit brauchten und darum nach Jerusalem zurückkehren sollten. Ich, der westeuropäische Jude, wende mich an sie und sage ihnen: Ich werde euch dabei helfen, nach Jerusalem, eurer Stadt, zurückzukehren, ich aber bleibe weiterhin in Westeuropa. Als aber die Schoa über uns hereinbrach und die Völker offenbarten, zu welchen Grausamkeiten sie fähig waren, selbst die der westlichen Hemisphäre, begriff ich, daß diese Worte an mich gerichtet sind, als ob man mir vom Himmel zuruft: 'nach Jerusalem deiner Stadt', der du da betest, 'kehre in Erbarmen zurück' - bevor dich das göttliche Gericht auf seine Weise dazu zwingt, kehre zurück, solange die Zeit des Erbarmens anhält.

"..und Davids Thron gründe schnell in ihr". Wir beten in dieser Bracha für "Gründung", daß Jerusalem die Vorbereitung für den davidischen Königsthron sein möge. Demnach handelt es sich dabei nicht um ein Gebet für die Rückkehr des davidischen Königtums, sondern um ein Gebet für die Rückkehr der Vorbereitung für das davidische Königtum, eine Zeitperiode, die bei den talmudischen Weisen "Maschiach ben Josef" genannt wurde. Diese Periode geht dem Aufbau der höchsten Spiritualität voran und ist gekennzeichnet durch den materiellen Aufbau Jerusalems - durch Politik, Wirtschaft, Verteidigung und Kultur. All dies in Vorbereitung auf das vollkommene Königtum der davidischen Linie.

Nun möge vielleicht jemand einwerfen, die einzelnen Stufen der materiellen Erlösung seien wohl notwendig, doch stellen sie für uns eine schwere Belastung dar. Wir erwarten den Tag, an dem (g~ttbehüte) der Zionismus in die Krise gerät, um endlich die Seele des Zionismus zu offenbaren, das Licht des Maschiach aus dem Hause Davids ("Maschiach ben David")! Doch das ist ein Irrtum. Der Begriff, der in unserer Bracha den Maschiach ben Josef bezeichnet, "und Davids Thron gründe schnell in ihr", stammt aus dem Buch der Psalmen, wo es über den Maschiach ben Josef heißt: "Und dem Sprößling, den deine Rechte gepflanzt" (Psalm 80,16). Der "Sprößling" ist die starke Wurzel des Weinstocks, auf die man den Pfropf aufpfropft, und ihretwegen gibt er seine Früchte. Würde man diesen "Sprößling" entfernen, gäbe der Weinstock schon keine brauchbaren Früchte mehr, sondern sehr mickrige; sie wären zwar süß, aber recht kraftlos. Sicherlich beten wir dafür, daß Maschiach ben Josef nicht getötet werde - daß der staatliche und allgemeine Zionismus die Tiefe seines Wesens offenbare und sich der großen Bewegung des Maschiach ben David anschließe, der die Seele des Judentums nicht nur den Juden, sondern vor der ganzen Welt offenbart.