Rav Uri Scherki
Zum Gebet - Der das Licht gebildet
Übersetzung: Rafael Plaut
Von der Webseite Kimizion.org
Der erste Segensspruch des Schma-Gebetes, Jozer Hame'orot "der die Lichter erschafft", beginnt mit den Worten: "..der das Licht gebildet und die Finsternis erschaffen, er stiftet Frieden und erschafft alles".
Mit diesem Segensspruch vereinigen wir uns mit dem göttlichen Licht, das in der gesamten Schöpfung enthalten ist, in der Schöpfung der Natur. Hier geht es nicht um die Welt des Menschen oder die Welt Israels, sondern um die göttliche Offenbarung durch Gesetzlichkeiten. Einerseits durch die Naturgesetze, andererseits durch spirituelle Gesetzlichkeiten wie z.B. in der Welt der Engel, oder auch der menschlichen Gemeinschaften - wie die Kriege, über die wir in diesem Segensspruch sagen, daß G~tt "die Kriege beherrscht, Wohltaten sät".
Das erste Gesetz, das wir erwähnen, ist das Grundgesetz der Schöpfung. G~tt ist es, "der das Licht gebildet und die Finsternis erschaffen, er stiftet Frieden und erschafft alles". Dieser Segensspruch hat seinen Ursprung in den Worten des Propheten Jeschajahu (45,7): "Der das Licht bildet und Finsternis schafft, Frieden stiftet und Unheil schafft, ich, der Ewige, tue dies alles". Dieser Vers war gegen den Glauben von einer doppelten Gottheit gerichtet, an jene Götzendiener, die an zwei Götter glaubten, von denen der eine für das Gute und der andere für das Böse zuständig war.
Unser Bedürfnis, die wir die Gottheit einigen, daran zu erinnern, daß G~tt sowohl das Licht bildet als auch die Finsternis schafft, sowohl Frieden stiftet als auch Unheil schafft, kommt daher, daß wir in der von uns als Menschen erlebten Welt, in der Erlebnis unserer Existenz, häufig dieser Spannung begegnen, die zwischen dem Wert des Guten und dem Wert des Bösen besteht. Nicht immer können wir aus der Bitternis des Lebens heraus erkennen, daß ein Schöpfer alles Leben lenkt, daß auch wenn es Unheil gibt, wenn das Böse tobt und die Bösewichte ihr Haupt erheben, die Hand der göttlichen Oberlenkung alle Fäden hält. Darum mögen wir manchmal in Depressionen verfallen und glauben, der Herr der Welt achte nicht auf die Umtriebe des Bösen in der Schöpfung. Darum brauchen auch wir ab und zu diese Erinnerung "der das Licht gebildet und die Finsternis erschaffen", gerade beim Übergang von der finsteren Nacht zum leuchtenden Morgen.
In diesem Segensspruch erwähnen wir auch den "König, allein hocherhaben von ehedem, gerühmt und gepriesen und verherrlicht seit den Tagen der Vorzeit". Dazu erklärte Rabbi Awraham, Sohn des "Ga'on von Wilna", diese drei Begriffe beschreiben drei Arten der Preisung durch die Menschen an G~tt: er ist "gerühmt" - durch die Gerechten, "gepriesen" durch die Mittelmäßigen, und "verherrlicht" durch die Bösewichte. Wie das? "Gerühmt" (meschubach) bedeutet "auf verborgene Weise", "Er besänftigt (maschbiach) das Brausen der Meere, das Brausen ihrer Wellen" (Psalm 65,8). Die Gerechten wissen, daß man G~tt mit keinem Wort beschreiben kann, darum schweige man besser, wie es heißt: "Dir gebührt (dumia, wie dom, schweigen) Lobgesang" (ebda. V.2), und damit haben wir die Bedeutung, daß G~tt "von den Gerechten gerühmt" ist, die kein Wort der positiven Beschreibung erwähnen. Was nicht für die Mittelmäßigen gilt - die Mehrheit des Volkes, die Ausdrücke der Hochschätzung G~ttes benötigen. Darum "preisen" sie den Ewigen. Die Bösewichte hingegen, die weder an stiller Rühmung noch ausdrücklicher Preisung G~ttes interessiert sind, verursachen dennoch die Verherrlichung G~ttes, wenn nämlich an ihnen Gericht geübt wird. Daraus ergibt sich die Vollkommenheit der göttlichen Herrschaft, "sein Reich herrscht über alles" (Psalm 103,19).
Nach der Beschäftigung mit den Beziehungen zwischen dem Herrn der Welt und seinen körperlichen Geschöpfen wenden wir uns der Beschäftigung mit einer Welt zu, die in den Segenssprüchen "Welt der Engel" genannt wird. G~tt "der die Diener gebildet, und seine Diener stehen alle in der Höhe der Welt". Auch dort gibt es Naturgesetze. Nachdem wir nun den Glanz der Leuchtgestirne und ihre Gesetze beschrieben haben, Sonne, Mond und Sterne, begeben wir uns darum auf eine höhere Rangstufe, die der Gesetze der spirituellen Welt und zu den Persönlichkeiten der Engel.
Auch in dieser spirituellen Welt herrscht Spannung. Dort sagen die "Ophanim": "Gelobt sei die Herrlichkeit des Ewigen von ihrer Stätte aus", und die "Seraphim" sagen: "Heilig, heilig, heilig ist der Ewige der Heerscharen, voll ist die ganze Erde seiner Herrlichkeit". Es gibt in der spirituellen Welt also zwei gegensätzliche Auffassungen, die eine sieht G~tt uns nahe, was im Spruch "Gelobt sei die Herrlichkeit des Ewigen von ihrer Stätte aus" zum Ausdruck kommt - der Herr der Welt, seine Ehre ist in dieser Welt gegenwärtig. Die "Seraphim" hingegen machen gerade den Mangel an Möglichkeit des Wissens um G~tt bewußt, sie sagen "heilig" - d.h. abgeschieden, "heilig, heilig..." bis in die Unendlichkeit - der Herr der Welt ist weit von jeder Erfassung durch ein Geschöpf entfernt.
Dieser Kampf, diese Spannung, die zwischen den Erkenntnissen besteht, zwischen der Erkenntnis, daß G~tt uns nahe ist, und der Erkenntnis, daß G~tt weit von uns entfernt ist, schaffen den "Gesang der Engel". Nur daß natürlich jeder Engel weiß, daß seine Ansicht nur einen Teil der Wahrheit vertritt, darum "erteilen sich Erlaubnis, einer dem anderen, ihren Schöpfer zu heiligen in seliger Ruhe". Denn "alle sind sie in Liebe vereint", alle diese Erkenntnisse, "alle auserlesen, alle voll Kraft", denn alle sind Teile jener großen Wahrheit, die sagt: Heilig und gesegnet. Nur daß die Engel, von denen jeder eine einheitliche und vollständige Persönlichkeit hat, nicht fähig sind, mehr als eine Wahrheit auszudrücken.
Der Mensch, der zu beten weiß, ist in der Lage, sich über den Rang der Engel zu erheben und G~tt sowohl als "heilig" wie auch als "gesegnet" zu erkennen. So können wir in unserer Vorstellung die absolute Abgeschiedenheit des Schöpfers, den Aspekt des "heilig, heilig, heilig", mit der Tatsache seiner Präsenz bei uns miteinander vorstellen, den Aspekt des "Gelobt sei die Herrlichkeit des Ewigen von ihrer Stätte aus".