Rav Uri Scherki
Zum Gebet - Heile uns!
Übersetzung: Rafael Plaut
Von der Webseite Kimizion.org
"Heile uns" ist der achte Segensspruch des Schmone-Esre-Gebetes. Diese Plazierung erfolgte keineswegs per Zufall, die Nummer Acht symbolisiert nämlich die Überwindung der Natur, wie der MaHaRaL ("hohe Rabbi Löw") aus Prag an mehreren Stellen seiner Werke erläuterte. Der Natur, die in den sieben Tagen der Schöpfung entstand, wird entsprechend die Nummer Sieben zugeordnet, und jede Überwindung der Natur wird der Nummer Acht zugeordnet. Auch die Medizin bedeutet eine Art Überwindung der natürlichen Entropie, der Neigung des Seins, dem niedrigsten Punkt zuzustreben. Die Heilkunst andererseits bestärkt den lebenskräftigen Drang, der über die Natur emporsteigt. Darum erscheint der Segensspruch "Heile uns" an achter Stelle, wo er hingehört. Und nicht nur das, sondern wie Rabbiner Moscheh ben Maimon ("Maimonides") in seinem Gesetzeswerk schrieb ("Sittenlehren", 4.Kap., Hal.20), wenn sich der Mensch immer an die Regeln gesunden Lebens hält, wird er niemals krank werden, jedenfalls nicht bis ins hohe Alter, und auch dann nur für kurze Zeit. Dann wäre die Heilkunst eigentlich überflüssig, außer für eine einzige Sache: zur Heilung der Beschneidung. Die Beschneidung (Brit Mila) ist nämlich ein Gebotsakt, den wir aus eigener Initiative ausführen, und dadurch erzeugen wir eine Art Krankheitsfall, der geheilt werden muß. Die Beschneidung, die uns vor den anderen Völkern auszeichnet und die zeigt, daß wir sogar unsere körperliche Natur ändern, wird am achten Lebenstag vollzogen, weil sie eine Erhebung über die Natur bedeutet. Auch in dieser Hinsicht paßt gerade der achte Platz für den Segen "Heile uns".
Wir bitten folgendermaßen: "Heile du, G~tt, uns, so werden wir geheilt". Merkwürdig - ist das denn nicht klar, daß wir zu G~tt beten?! Welche Notwendigkeit besteht zur wiederholten Erwähnung seines Namens? Im vorigen Segensspruch, "Schaue an unser Elend", sagen wir nicht: "Schaue an, G~tt, unser Elend", sondern "Schaue an unser Elend". Von vornherein ist sonnenklar, daß wir zu G~tt beten. Vielmehr besteht hierbei die Absicht, eine Frage vorweg zu beantworten, nämlich wenn der Mensch krank ist, sollte er sich doch an einen Arzt wenden, und wozu belästigt er damit den Herrn der Welt? - Der Arzt mag wohl eine Krankheit heilen, doch kann er nicht versprechen, sie werde niemals wiederkehren. Wenn allerdings G~tt heilt, können wir sicher sein. Wenn G~tt uns heilt, "so werden wir geheilt", auf jeden Fall, und die Krankheit wird niemals wiederkehren.
"...hilf du uns, so wird uns geholfen" - wofür ist diese Bitte gut? Wir erbitten zwei Arten Heilung: Die Heilung des Körpers bei "Heile uns", und die Heilung der Seele bei "hilf uns". Der Mensch braucht auch diese Heilung.
Welche Motivation steht nun hinter der Bitte nach Heilung, vielleicht Egoismus - das persönliche Interesse des Beters, den seine Leiden schmerzen, und er sich deshalb um seine Gesundheit sorgt? Das können wir verneinen, denn wir fahren fort: "denn du bist unser Ruhm". Das Bedürfnis nach Heilung dient der Fähigkeit, dich zu rühmen. Solange der Mensch krank ist, kann er G~tt nicht gehörig dienen, kann er nicht beten, kann er keine großartigen Taten zur Heiligung des göttlichen Namens vor den Augen der Völker vollbringen. Darum bitten wir G~tt um unsere Heilung, denn ohne sie würde ja sein Plan ins Stocken geraten. Hier liegt sozusagen göttliches Eigeninteresse vor und nicht das Privatinteresse des Betenden. In manchen Gebetstexten wird zusätzlich eine ganze Reihe von Bitten erwähnt, wie z.B. "gewähre Heilung und Gesundung allen unseren Krankheiten, und all unserem Leiden, und allen unseren Wunden". Dabei handelt es sich um Auflistungen der Krankheitsschädigungen - die Wunde, im einfachsten Sinne des Wortes, ein körperlicher Makel, für den wir bitten: "Heile du, G~tt, uns, so werden wir geheilt". Die Wunde mindert den Menschen um etwas. Das "Leiden" bezieht sich auf den physischen Schmerz, der die Wunde begleitet, und auch dafür beten wir, und mit "Krankheit" sind die seelischen Konsequenzen der Schmerzen und der Wunden gemeint.
"...denn G~tt, König, ein bewährter und barmherziger Arzt bist du". Normalerweise ist ein Arzt entweder bewährt oder barmherzig. Wenn er als "bewährter" Arzt nur das Interesse des Kranken auf Gesundung im Sinne hat, darf er ihm gegenüber keine Barmherzigkeit zeigen, sondern muß ihm wenn nötig auch bittere Medizin verabreichen und manchmal sehr schwere und unangenehme Therapien verordnen. Wenn er allerdings barmherzig ist, wird er dem Patienten nicht zu viel zumuten, doch dann kann man ihn schlecht "bewährt" nennen. Nur die Heilung des Herrn der Welt kann gleichzeitig die eines bewährten und die eines barmherzigen Arztes sein.
Möge allen Kranken im Volke Israel vollkommene Heilung widerfahren.